Viele handwerksrelevante Gesetze haben ihren Ursprung in Brüssel. So gehen bereits heute etwa 80 Prozent aller Gesetze im Mittelstand direkt oder indirekt auf die Europäische Union zurück. Im Umweltbereich liegt der Anteil sogar noch höher. Vielfach sind auch Handwerksbetriebe in der Region von diesen Gesetzen unmittelbar betroffen, etwa durch die Datenschutzgrundverordnung oder auch die Tachographenverordnug. Aus diesem Grund hat die Handwerkskammer Frankfurt-Rhein-Main seit 2010 eine Vertretung bei der Europäischen Kommission in Brüssel. Eine der Hauptaufgaben der Interessenvertretung ist, Mitgliedsbetriebe im Kammerbezirk Frankfurt-Rhein-Main über europapolitische Vorgänge zu informieren und damit eine breite Auseinandersetzung in der Metropolregion mit europapolitischen Fragen anzuregen. Die Positionen aus der Metropolregion trägt die Kammer dann wieder bei den politischen Partnern in Brüssel vor. Ziel ist es, bedeutsame Entwicklungen für den regionalen Mittelstand früh zu erkennen: Der enge Kontakt zu den europapolitischen Entscheidungsträgern, sowie ein enges Netzwerk zu Partnern aus der Landes- oder Bundespolitik helfen uns dabei, die Positionen des Mittelstandes erfolgreich zu vertreten. Gemeinsam mit unseren Partnern auf Landes-, Bundes- und Europa-Ebene kämpfen wir unter anderem für den Erhalt des bewährten deutschen Ausbildungssystems und die regulierten Berufe.
Kontakt zu unserer Brüsseler Vertretung
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1. Das Dienstleistungspaket der Europäischen Kommission: Mögliche Auswirkungen für das Deutsche Handwerk
Die Europäische Kommission hat am 10. Januar 2017 ein umfangreiches so genanntes Dienstleistungspaket vorgelegt, die auf das Deutsche Handwerk, das System der Dualen Bildung und kleine und mittlere Betriebe negative Auswirkungen haben könnte. Die Vertretung der Handwerkskammer Frankfurt-Rhein-Main bei der Europäischen Union in Brüssel setzt sich aktuell in dieser Frage für die Interessen der Handwerker im Kammerbezirk Frankfurt-Rhein-Main.
Der Fokus dieses Paketes liegt dabei auf vier Vorschlägen:
- Elektronische Europäische Dienstleistungskarte (Richtlinie und Verordnung)
Durch die Dienstleistungskarte ist eine Implementierung des Herkunftslandprinzips zu befürchten. Dienstleistungserbringer aus anderen Mitgliedsstaaten müssten dann bei der grenzüberschreitenden Dienstleistungserbringung keine Qualifikationsanforderungen mehr in Deutschland erfüllen. Zudem werden die Prüf- und Kontrollmöglichkeiten für deutsche Behörden eingeschränkt. Ein Missbrauch der Dienstleistungskarte ist zu erwarten.
- Verhältnismäßigkeitsprüfung (Richtlinie)
Alle Neuerungen oder Änderungen nationaler Berufsreglementierungen sollen einer europäisch einheitlichen Verhältnismäßigkeitsprüfung unterzogen werden. Jede noch so kleine Anpassung der Meisterberufe, etwa im Zuge der Digitalisierung oder bei unvorhergesehenen Arbeitsmarktentwicklungen, hätten zwangsläufig eine Prüfung auf Verhältnismäßigkeit zur Folge.
- Verbessertes Meldeverfahren für Entwürfe nationaler Rechtsvorschriften für Dienstleistungen (Richtlinie)
Das bisherige Meldeverfahren für Entwürfe nationaler Rechtsvorschriften für Dienstleistungen wird verschärft – Kommissionsentscheidungen in diesem Zusammenhang werden rechtsverbindlich und können nur noch vor dem Europäischen Gerichtshof eingeklagt werden. Damit steht zukünftig eine Änderung der Handwerksordnung unter dem Genehmigungsvorbehalt der Europäischen Kommission.
- Leitlinien für nationale Reformen bei der Reglementierung freier Berufe (Empfehlung)
Von den Empfehlungen ist das Handwerk nicht unmittelbar betroffen. Allerdings steht zu befürchten, dass die Kommission zukünftig auch entsprechende Empfehlungen für andere regulierte Berufe ausspricht (zum Beispiel der Meisterbrief im Handwerk). Die Handwerksnovelle 2004 hat gezeigt, dass bei einer Liberalisierung das erfolgreiche Ausbildungssystem massiv geschwächt wird.
Nachfolgend finden Sie alle Informationen rund um das Dienstleistungspaket der Europäischen Kommission sowie ein Glossar zum leichteren Verständnis sowie die Infos zur Kampagne "Ja zum Meister".
1.1. Hintergrund zum Paket
Informationen der Handwerkskammer Frankfurt-Rhein-Main
Pressemitteilung „Kritik an Dienstleistungspaket zu regulierten Berufen“ (68.78 KB)Informationen anderer Handwerksorganisationen
Gemeinsame Pressmitteilung HHT und Europaministerin Puttrich (59.97 KB)Informationen auf Europäischer Ebene
Pressemitteilung der Kommission zum Dienstleistungspaket (56.92 KB)2. Das ist die Dienstleistungskarte
Die ursprüngliche Veröffentlichung der Dienstleistungskarte wurde im Dezember 2016 aufgrund massiven politischen Drucks – insbesondere durch das Engagement der Bauwirtschaft – auf Januar 2017 verschoben. Die Kommission hat eine Verordnung und eine Richtlinie zur Dienstleistungskarte vorgelegt. Die Dienstleistungskarte soll zunächst freiwillig für den Bausektor und Unternehmensdienstleistungen eingeführt werden, als Alternative zum bestehenden Verfahren. Selbst Änderungen am ursprünglichen Vorschlag können grundlegende strukturelle Mängel des Ansatzes nicht beseitigen. Viele Wirtschaftsverbände und Gewerkschaften lehnen die Dienstleistungskarte weiterhin ab.2.1. Hintergrund zur Dienstleistungskarte
Informationen der Handwerkskammer Frankfurt-Rhein-Main
Anmerkungen zur Dienstleistungskarte (435.15 KB)Informationen anderer Handwerksorganisationen
ZDH Stellungnahme zur Dienstleistungskarte (112.96 KB)Informationen anderer Organisationen
Stellungnahme der Freien Berufe zur Dienstleistungskarte (447.02 KB)3. Prüfung der Verhältnismäßigkeit
Mit dem Richtlinienvorschlag zur Verhältnismäßigkeitsprüfung legt die Kommission ein Analyseraster für reglementierte Berufe vor. Darin werden insgesamt 21 Verhältnismäßigkeitskriterien aufgeführt, die qualitativ und quantitativ belegt werden sollen. Der Test soll auf Neuerungen und Veränderungen der Berufsreglementierungen angewendet werden. Die Kriterien gehen über die Anforderungen des Europäischen Gerichtshofes zu Berufsreglementierungen hinaus.![](/adbimage/6484/asset-original/verhaeltnismaessigkeit.png)
Das hessische Handwerk lehnt ab, dass der nationale Gesetzgeber gezwungen werden soll, Veränderungen oder Neuerungen im Bereich der Berufsreglementierungen ex ante durch unabhängige Prüfinstanzen auf Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes hin überprüfen zu lassen. Die Kommission greift damit unverhältnismäßig in die souveränen Rechte der Mitgliedsstaaten ein. Nationale Entscheidungen stehen damit unter einem permanenten Rechtfertigungsdruck.
3.1. Mehr zur Verhältnismäßigkeit
Informationen anderer Handwerksorganisationen
ZDH Stellungnahme zur Verhältnismäßigkeitsprüfung (165.92 KB)Beschlüsse der Deutschen Politik
Subsidiaritätsrüge des Bundesrates zur Verhältnismäßigkeitsprüfung (85.34 KB)Informationen anderer Organisationen
Stellungnahme der Freien Berufe zur Verhältnismäßigkeit (472.72 KB)4. Verändertes Verfahren
Das bisherige Meldeverfahren soll durch eine Richtlinie verschärft werden. An die Stelle des bisherigen Vertragsverletzungsverfahrens tritt eine vorgelagerte Überprüfung von nationalen Rechtsvorschriften für Dienstleistungen durch die Kommission. Das bedeutet: Kommt die Kommission zu der Entscheidung, dass die vorgelegte Rechtsvorschrift gegen Europarecht verstößt, gilt diese Entscheidung als rechtlich bindend. Der Mitgliedsstaat darf die Rechtsvorschrift nicht erlassen. Die rechtlich bindende Entscheidung kann nur vor dem EuGH angefochten werden. Gegenüber dem geänderten Meldeverfahren für Entwürfe nationaler Rechtsvorschriften für Dienstleistungen äußern das Handwerk massive Bedenken.![](/adbimage/6483/asset-original/notifizierungsverfahren.png)
4.1. Hintergründe zum Verfahren
5. Glossar
Empfehlung der Europäischen Kommission - Unverbindliche Handlungsempfehlung der Europäischen Kommission auf die häufig ein verbindlicher Rechtsakt folgt.Subsidiaritätsprinzip - Aufgabenverteilung zwischen den staatlichen Organisationen. Jede politische Ebene hat klare Aufgaben zu erfüllen.
Subsidiaritätsrüge - Nationale Parlamente können die europäische Ebene auf eine Verletzung des Subsidiaritätsprinzips und Kompetenzüberschreitungen aufmerksam machen.
Herkunftslandprinzip oder auch Ursprungslandprinzip - Dienstleistungserbringer unterliegen auch bei einer Tätigkeit in einem anderen Mitgliedstaat nur dem Recht seines Herkunftsstaates (bspw. Qualifikationen).
Ziellandprinzip - Dienstleistungserbringer müssen bei grenzüberschreitenden Leistungen die Vorschriften des Erbringungsortes erfüllen (bspw. Qualifikationen).
Transparenzinitiative - Durch die Europäische Kommission initiierte Überprüfung aller regulierten Berufe in Europa.
Notifizierung - Melde-/ Genehmigungspflicht der Mitgliedsstaaten gegenüber der Europäischen Kommission bei Gesetzen, die den europäischen Binnenmarkt betreffen.
![Ja zum Meisterbrief](/adbimage/3662/w320/1_5d7ee1184f80dc57f40de29f0a4adac5working.jpg)
Die Handwerkskammer Frankfurt-Rhein-Main hat das Thema noch einmal regional heruntergebrochen: Schreiner-Azubi Christian John und Schornsteinfegermeister Bertram Appel erzählen, warum sie sich - statt eines akademischen Hochschulstudiums direkt nach der Schule - für das Handwerk entschieden haben.
6.1. Mehr Infos zur Kampagne